Wohlhabend, erfolgreich - und unglücklich

Dreißig Jahre später sahen wir uns wieder, die 12 Teilnehmer einer mehrstufigen Managementausbildung - und ich, der Trainer. Aus allen war „etwas geworden“, wie man so sagt, alle hatten als Manager Karriere gemacht, bis auf einen, der sich früh entschieden hatte, Maler zu werden. Einer hatte es sogar bis zum CEO eines 15-Milliarden-Unternehmens gebracht. Alle waren erfolgreich, verdienten ausnahmslos viel, im Einzelfall sehr viel Geld – aber keiner war richtig glücklich. Jedenfalls nicht über sein Berufsleben.

Seine Enttäuschung fasste stellvertretend ein Teilnehmer so zusammen: „Ich habe das Gefühl, ich verplempere mein Leben. Wenn ich sterbe, interessiert es jemanden, dass ich das Betriebsergebnis um zig Punkte verbessert habe? Es sind doch nur Zahlen auf einem Monitor. Klar, ich bekomme eine Menge Geld und Status, wir können uns alles leisten. Aber wenn du deinen Job nicht magst, spielt es irgendwann keine Rolle, wie hoch dein Gehalt ist. Es gibt kein magisches Einkommen, das einen schlechten Job zu einem guten macht.“ Ein Teilnehmer ergänzte: „Ich bekam ein Jobangebot von einem Startup. Das hätte ich gerne angenommen. Aber ich hätte weniger als die Hälfte verdient. Meine Frau hat mich ausgelacht.“

Dass die Teilnehmer dieses Managementprogramms kaum Ausnahmen sind, weiß jeder, der sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Arbeitszufriedenheit befasst. Wir können qualitativ seit langem sagen, was Menschen brauchen, um morgens gerne zum Job zu gehen. Eine gewisse Einkommenssicherheit ist zweifellos eine Voraussetzung. Und jenseits individueller Streuung kann man ein hohes Maß an erlebter Autonomie am Arbeitsplatz als allgemeingültig annehmen. Auch die Wertschätzung von Kollegen trägt zur Arbeitsfreude bei, und, umgekehrt, wertgeschätzte Kollegen. Mehr noch aber ist es ein Sinnerleben, das die Arbeitsfreude stimuliert. Es ist das Gefühl, die Welt ein wenig besser zu machen, die Lebensqualität von Menschen zu erhöhen. Wohlgemerkt: von Menschen außerhalb des Unternehmens. Man will einen gesellschaftlichen Unterschied machen. 

Es erstaunt, wie wenig Firmen diese simple Wahrheit beherzigen. Die Jobdesigns fokussieren fast ausschließlich eine Binnen-Rationalität, sind sich an Effizienz, Reibungslosigkeit und internen Benefits orientiert. Aber niemand soll glauben, dass Mitarbeiter, denen das Unternehmen Mahlzeiten, Sportprogramme und das Einfrieren weiblicher Eier finanziert, mehr Arbeitsfreude erleben, als die schon ikonographisch-berühmte Krankenpflegerin, die beim Putzen um die Betten herumtanzt und die Patienten zum Lachen bringt. Niemand soll glauben, dass die Erhöhung irgendeines Renditewertes die Menschen energetisiert. Niemand soll glauben, dass Unternehmen so etwas wie Arbeitsfreude entstehen lassen, wenn sie am liebsten ohne den „Umweg“ über den Kunden ihren Kapitalmarktwert erhöhen wollen und sich als hermetisch geschlossene Wertsteigerungsgeneratoren verstehen. Im Gegenteil, ein solcher Firmenautismus macht zynisch. Wie  einer der Teilnehmer sagte: „Dass wir mal wussten, dass wir mit unserer Arbeit das Leben unserer Kunden verbessern, mein Gott, ist das lange her!“

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