Verhalten im Konjunktiv

Um markt- und wettbewerbsfähig zu bleiben, wird Unternehmen geraten eine zweigleisige Strategie zu fahren: Zum einen sollten bestehende Produkte und Vertriebswege optimal genutzt und daher kontinuierlich verbessert werden, zum anderen empfiehlt es sich, Innovation als Säule für anhaltendes Wachstum und dauerhafte Profitabilität zu etablieren. Ein für Letzteres häufig ins Feld geführter Ansatz zur Beschleunigung von Innovation ist, eine bereits vorhandene und nicht selten vernachlässigte Ressource der Organisation stärker zu aktivieren: Die Mitarbeitenden. Von ihnen wird verlangt «Unternehmer im Unternehmen» zu werden und sich entsprechend dieser Rolle einzubringen. Doch lässt
sich der in disem Kontext häufig als «Intrapreneurship» bezeichnete Ansatz einfach so übertragen? Wir haben bei Führungsexperte Dr. Reinhard K. Sprenger nachgefragt.

ZOE: Mit Intrapreneurship wird angestrebt, unternehmerisches Denken und Handeln bei Mitarbeitenden zu fördern. Unternehmerisches Denken zeichnet sich u. a. durch Risikofreude
oder ein hohes Maß an Verantwortlichkeit (z. B. für Angestellte) aus. Ist das nicht ein Widerspruch zum Angestellten-Dasein, wo diese Anforderungen gar nicht vorherrschen?

Sprenger: Ich habe nichts gegen Widersprüche. Unser Leben ist immer ein Leben im Dilemma. Auch Unternehmen sind Widerspruchsverarbeiter – sie balancieren verschiedene Logiken, die zum Teil in erheblicher Spannung zu einander stehen. Denken Sie nur an die innovationssensible Spannung zwischen Forschung/Entwicklung und Controlling, die von Ihnen angesprochen wurde, also zwischen Produktivität und Effizienz. Worüber wir allenfalls streiten können, ist ein Mehr-oder-Weniger, sind Fließgleichgewichte und Wahrscheinlichkeiten. Insofern kann die Bedingung der Möglichkeit von Innovation verbessert werden. Aber Sie machen bestimmt keine Angestellten zu Unternehmern, die vor 30 Jahren in das Unternehmen eingestiegen sind, weil sie eben Angestellte sein wollten. An Mitarbeitenden herumzuschrauben erhöht ohnehin nur den Zynismuspegel. Sie können lediglich Strukturen und Institutionen schwächen, die Innovationsverhinderungsenergie erzeugen. Zum Beispiel Budgetprozesse. Oder Anreizsysteme. Oder den Rechtfertigungsdruck. Auch Gruppendenken ist kontraproduktiv: In der Gruppe diffundiert Verantwortung.

ZOE: Unternehmen müssen mitunter selbsterzeugte Regeln brechen, um erfolgreich zu bleiben. Angestellten droht hingegen
bei Regelbruch die Abmahnung. Wie passt das zusammen?

Sprenger: Das kommt darauf an, was Sie unter Regelbruch verstehen. Wenn Sie illegales Handeln meinen, liegen die Dinge
klar. Wenn Sie das Durchbrechen von Denkmustern, Verhaltensparadigmen und das Ausnützen von «slacks» meinen, ist das schon eher diskutabel. Will ein Unternehmen aber wirklich eine Atmosphäre des Andersmachens schaffen, kommt es nicht darum herum, den Prozess des Organisierens zurückzufahren. Also überlegt und angemessen aus dem «Nur-so!» wieder ein «So-oder-so» zu machen. Es geht um das Ausmisten von Management-Firlefanz, der bürokratische Abläufe auftürmt, am Markt aber keinen Unterschied macht. Das ermöglicht immerhin kleine Schritte, etwa Effizienzinnovationen oder Verbesserungsinnovationen. Die großen, disruptiven Innovationen, die echtes Wachstum ermöglichen, sind nur möglich außerhalb der Organisation. In kleinen Einheiten, vergangenheitslos, verantwortungslos.

ZOE: Beschreiben Sie uns bitte Ihr Bild des Intrapreneurs: Was treibt ihn an? Woran richtet er sich aus?

Sprenger: Ein Intrapreneur richtet sich an gar nichts aus. Sonst wäre er keiner. Schon gar nicht orientiert er sich an Leitbildern, die man ja nicht dadurch in Schwierigkeiten bringt,
dass man sie kritisiert, sondern dass man sie ernst nimmt. Die sind phrasenhaft aufgebläht und inhaltlich unterkomplex bis zur Lächerlichkeit. Ein wirklicher Intrapreneur, so wie ich ihn
verstehe, ist ein Spekulant. Er lebt im Konjunktiv. Ihn interessiert nicht, was ist, sondern was sein könnte. Sein Vorzug ist also ein Verzicht: Verzicht auf die Belehrung durch grandiose
Narrative, Verzicht auf die Leitplanken der Erfolgsrezepte, Verzicht auf das Nachmachen, das Benchmarking, die Sicherheit des «Alle machen es so!». Dieser Intrapreneur braucht allerdings eine hohe Frustrationstoleranz, weil viele seiner Ideen zwar geboren, aber nicht umgesetzt werden. Vor allem aber liebt er den Gegenstand,
dem er sich zuwendet. Dem ist er verpflichtet. Nicht dem Unternehmen, nicht seinen Kollegen, nicht seiner Karriere. Ein innovativer Mensch macht ohnehin keine Karriere. Jedenfalls
nicht in Organisationen. Es ist ja gerade das Verdienst des Beförderungsprozesses in Unternehmen, dass keine Quertreiber in den Genuss von Privilegien kommen. Deshalb ist der angestellte Manager als schöpferischer Zerstörer eine Chimäre – ein durch das Karrieresystem bewusst ausgemendelter Eventualfall. Er ist Systemverwalter, er verwaltet das Geld anderer Leute. Das ist inkompatibel mit heimat- und verantwortungsloser Kreativität.

ZOE: Unternehmerisch zu agieren bedeutet mutig zu sein. Wie kann man bei Mitarbeitenden unabhängig von Intrapreneurship-Ansätzen Mut für innovatives Handeln erzeugen?

Sprenger: Ihre Frage unterstellt, dass Mut machbar ist. Das bestreite ich. Mut ist keine herstellbare Kategorie. Die innere und materielle Unabhängigkeit, die Mut voraussetzt, ist weder zu fordern noch zu fördern. Sondern allenfalls in homöopathischen Dosen einzukaufen. In Deutschland sinkt sie überdies beharrlich, wenn Sie sich die Quote der Selbständigen in nahezu allen Berufszweigen anschauen. Und auch die innovative Produktivität deutscher Unternehmen hat in den letzten Jahren dramatisch gelitten. Nein, ich will beharrlich bleiben:
Wenn Sie ein Mehr an Selbstvertrauen und innovativer Initiative im Unternehmen wollen, dann reicht Reparieren nicht mehr in diesen Zeiten. Es geht nicht um ein Tun, sondern um
ein Lassen. Lassen Sie zum Beispiel die Finger von den Konformitätsmühlen der Feedbackrituale. Sich denen zu unterwerfen ist der Tod der Innovation; sie abzuschaffen wäre, ich
wage es auszusprechen, innovativ.

Das Gespräch führte ZOE-Redakteur Oliver Haas

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