Sagen Sie mal, Herr Sprenger…

Sagen Sie mal, Herr Sprenger...boykottieren unsere Chefs die Digitalisierung?
Jeder möge sich selbst fragen, ob er gerade persönlich in ein digitales Projekt involviert ist. Die meisten Manager sind es nicht. Sie brechen allenfalls rhetorisch zu digitalen Ufern auf und lassen Projekte zu, vielleicht sogar wohlwollend. Aber im Grunde denken sie, das sei nur etwas für die Jüngeren. Das ist zwar kurzsichtig, aber auch verständlich. Sie machen mit dem alten Zeug einfach noch viel zu viel Geld. Um es provokant zu formulieren: Nur wer unbedingt am Alten festhalten will, kommt auf die Idee, Abgaswerte zu manipulieren.

Die Digitalisierung verändert unsere Welt in rasantem Tempo. Wo stehen wir aktuell?
Nimmt man den Digitalisierungsgrad zum Maßstab, also den Geschäftserfolg auf digitalen Märkten und die Nutzungsintensität von digitalen Techniken, dann sind wir in Deutschland Dritte Welt. Man übt digitales Ablagemanagement, Online-Marketing und macht erste agile Gehversuche. Man ernennt einen Chief Technology OffiŠcer oder kauft vielleicht eine kleine Internet-Bude. Aber die IT-Projekte sind viel zu selten mit dem Restunternehmen verzahnt. Die Art der Zusammenarbeit stammt noch aus analogen Zeiten. Das heißt, in Deutschland spielen wir zwar verbal weit vorne mit, aber faktisch agieren wir am PŽflock des Augenblicks.

Die Digitalisierung wirkt disruptiv, zerstört bisher als sicher geglaubte Geschäftsmodelle und schafft gleichzeitig neue. Wo liegt das Ziel der Reise?
Gegenfrage: Hat schon je irgendjemand ein Ziel erreicht, ohne sich sofort ein neues zu setzen? Nein, denn die wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen gehen immer weiter. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass wir vor einer radikalen Neudef”nition von Arbeit stehen. Auch die Komposita wie Arbeitszeit, Arbeitsplatz und Arbeitsort werden ihre lange Zeit verbindliche Bedeutung wohl verlieren. Arbeit wird das, was man tut, nicht das, was man hat.

In Ihrem jüngsten Buch „Radikal digital“ schreiben Sie: „Die Gestaltgeste der Digitalisierung ist das Verbinden. Zukünftig gewinnt nicht der, der produziert, sondern der verbindet.“ Was meinen Sie damit?
Digitalisierung heißt im Kern, eine Verbindung darin zu sehen, was zuvor unverbunden, vielleicht sogar völlig beziehungslos war und diese Verbindung dann technisch herzustellen. Dazu sind Daten nötig. Aber das reicht nicht. Sie brauchen die Fähigkeit des Verbindens und Quali”zierens. Dafür müssen Sie im Unternehmen Menschen verbinden, die bisher noch nie zusammengearbeitet haben. Und die mit Blick auf den Kunden kreativ werden können, ebenfalls relational. Zum Beispiel über Plattformen.

Sie behaupten, die Digitalisierung sei keine technische, sondern eine soziale Revolution, die den Menschen wieder in den Vordergrund rückt. Tagtäglich nehmen wir jedoch das Gegenteil wahr: Algorithmen übernehmen Tätigkeiten, die früher von Angestellten erledigt wurden. Bleibt der Mensch nicht zwangsläu‰fg auf der Strecke?
Das kommt darauf an, wohin und wie weit man schaut. Wirtschaftshistorisch wurden die kurzfristigen Auswirkungen technologischer Umbrüche immer überschätzt und die langfristigen Folgen unterschätzt. Sicher, es wird  Digitalisierungsverlierer geben. Aber um viele der verschwindenden Jobs ist es nicht sonderlich schade. Wird man in hundert Jahren irgendwelchen langweiligen Bürojobs noch eine Träne nachweinen? Und zeigen die Umfragen nicht schon lange das Bedürfnis der Mitarbeiter nach sinnvollen und kreativen Aufgaben? Wenn man die Daten verbindet, werden daraus Informationen. Setzt man die Informationen in Kontexte, entsteht daraus Wissen, angewendet sogar Intelligenz. Und wenn man am Ende dann über die Anwendungen reŽflektiert, wird daraus im besten Fall Weisheit. Das alles kann nur der Mensch.

Was unterscheidet eine „digitale Führungskraft“ von einer „analogen“?
Digitale Führungskräfte müssen die Technik verstehen, aber selbst keine Techniker sein. Im Gegensatz zu früher müssen sie die Arbeit nicht teilen, sondern verbinden. Dazu müssen sie in der Lage sein, Menschen zu verbinden. Und sie brauchen die Fähigkeit zur Zusammenschau, zur Au›fhebung der Widersprüche, zum Spiel mit Ambivalenzen. Denn paradoxerweise werden in digitalen Zeiten die Dinge nicht mehr in den Kategorien von 0 und 1 entschieden, sondern
als Unschärfen balanciert. Das ist ein völlig neues Paradigma.

Welche Kernaufgaben stellen sich dadurch an das Management?
Erstens: Institution vor Individuum. Der Hauptstrom der gegenwärtig herrschenden Management-Theorie tendiert dazu, die Menschen zu perfektionieren. Das ist vorbei. Führung muss die Organisation grundlegend überdenken und viel Žexibler werden. Zweitens: Extern vor intern. Heutige Führungskräfte beschäftigen sich noch immer viel zu intensiv mit internen Märkten, etwa über Meetings, Führungsinstrumente und KPIs. Das ist Energie, die draußen beim Kunden fehlt. Dort müssen Sie einen Wettbewerb gewinnen, nicht auf den Kinderspielplätzen der Bürokratie. Drittens: Ausmisten vor reparieren. Eiliger Reformismus innerhalb einer Struktur verhindert häufi”g die Veränderung der Struktur selbst. Man macht keine neuen Unternehmen mit alten Institutionen.

Sondern?
Goethe sagt: Alle Veränderung resultiert aus Leid. Man muss also leiden oder vom digitalen Wettbewerb bedroht sein, um sich fundamental auf Neues einzustellen. In den USA ist „to get amazoned“ dafür eine allgemeingültige Wendung. Wer heute noch tiefschwarze Zahlen schreibt, spürt allenfalls die Not der Notlosigkeit. Warum also etwas ändern, mag sich der Manager fragen. Es gibt allerdings noch eine zweite Quelle der Selbstveränderung: Neugier. Oder Liebe.

Was raten Sie älteren Arbeitnehmern, um in Zeiten der Digitalisierung Schritt halten zu können?
Wenn Kollege Künstlich Sie bedroht, können Sie zwischen drei Verhaltensstrategien wählen: Step up – streben Sie weiter hierarchisch nach oben. Step aside – gehen Sie in Jobbereiche, die nicht digitalisierbar sind. Step in – arbeiten Sie mit intelligenten Maschinen zusammen. Vor allem aber: Bilden Sie sich weiter! Jeder braucht heute ein Basiswissen im Fach Technologie. Innovativ sein heißt nicht gleich jung sein zu müssen. Versuchen Sie nicht, im Windschatten des Kündigungsschutzes zu überwintern. Das wäre kein Leben, das wäre Ableben. Wie müssen sich Unternehmen organisatorisch aufstellen, um ihre Geschäftsmodelle im notwendigen Fall blitzschnell ändern zu können? Das kann man nicht für alle Branchen gleich beantworten. Aber grundsätzlich müssen wir den Prozess des Organisierens umdrehen: Roll-in statt Roll-out. Die Digitalisierung muss vom Kunden ausgehen, also vom Markt. Dann folgt die Organisation. Dann die Mitarbeiter. Und erst ganz zum Schluss die technische Umsetzung. Das ist die richtige Reihenfolge. Wenn Sie wirklich zukunftsfähig sein und bleiben wollen, darf es keine organisatorischen Tabus geben.

Welche Entwicklungen – neben der Digitalisierung – setzen die Unternehmen aktuell sonst noch unter Druck?
China ist seit 2016 der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Dennoch kümmern sich viel zu wenige Unternehmen um Kooperationen mit chinesischen Partnern. Ich war einige Mal in der Boom-Region Shanghai. Es ist kein Wagnis zu sagen: Die Zukunft entscheidet sich in China. Deutschland hat in dieser Hinsicht durchaus Vorteile auf seiner Seite. „Made in Germany“ genießt in Fernost noch immer hohes Ansehen.

Was zeichnet ein erfolgreiches (deutsches) Unternehmen im Jahr 2028 aus?
Ernsthaft kann man das nur bei Windstille beantworten. Auf den volatilen Märkten der digitalen Zukunft wird jeder Entwurf schnell zu Makulatur. Realitätsnäher ist es, wenn Sie sich iterativ an Marktveränderungen anpassen. Das sollte unser Kompasss ein: Jetzt tun, was der Kunde demnächst braucht.

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