Oben ohne?

„First, let's fire all the managers!" Gary Hamels Artikel schlug 2012 hohe Wellen. Aber nur einige Unternehmen wie Gore oder Morningstar ließen Taten folgen. Allmählich aber, in einem zunehmend volatilen Umfeld, wird Hamels Aufruf ernster genommen und das eigentlich alte Organisationskonzept der Selbstorganisation neu und höher bewertet. Viele Unternehmen versuchen sich in Organisationsformen wie Holakratie, Soziokratie und Agilität. „Unboss" heißt das bei Novartis, „Servant Leadership" beim Telecomriesen Swisscom. Man verspricht sich damit mehr Kundennähe, höhere Flexibilität und Geschwindigkeit auf den Absatzmärkten, Attraktivität auf den Personalmärkten. Das gemeinsame Merkmal dieser Initiativen: Hierarchie ist überflüssig; Teams regeln alles selbst. Im ewigen Kampf zwischen Selbstbestimmung und Fremdsteuerung hat erstere gesiegt.

Was ist davon zu halten? Grundsätzlich ist diese Entwicklung, so sie sich denn etabliert, zu begrüßen. Führung war und ist ein Kooperationsparasit. Sie lebt von Dilemmata und den daraus resultierenden Paralysen. Insofern ist sie Lückenbüßer für alles, was sich im Unternehmen nicht von selbst ergibt oder nicht von selbstlaufenden Prozessen erledigt wird. Wer träumt nicht von eigeninitiativen Mitarbeitern, die ihr unternehmerisches Potenzial zugunsten der Unternehmensziele entfalten?

Aber zunächst ist eine Paradoxie zu bewältigen: Auch Selbstorganisation muss erlaubt und organisiert werden. Dafür braucht es allseits respektierte Führungspersonen, die auch nach einer hierarchischen Entscheidung für mehr Nicht-Hierarchie sich nicht in Luft auflösen. Nimmt man den eigentumsrechtlichen Aspekt hinzu, dann hat die Selbstorganisation dort Grenzen, wo sie Geld verbrennt, dass ihr nicht gehört.

Zudem brauchen Unternehmen eine Instanz, die die Entscheidbarkeit von Widersprüchen sichert. Wenn Zielkonflikte das Unternehmen paralysieren, muss jemand einspringen und die Blockade auflösen. Es hieße, die Kompetenz der meistens Teams überdehnen, wenn man ihnen zumutete, selbst diese Instanz zu sein.

Hinzu kommen wesentliche Aufgaben, die man sich kaum ohne hierarchischen Zugriff vorstellen kann: den Störungsauftrag etwa, der die Lernbehinderung durch anhaltenden Erfolg auflöst. Oder Personalentscheidungen aller Art. Und noch ein letzter Zweifel: Meiner Erfahrung nach werden die psychoorganisatorischen Defizite der Hierarchie überbewertet, die der Teams unterbewertet. Teamarbeit ist aber voraussetzungsvoll und komplex, die Gruppen- und Beziehungsdynamik oft kaum in den Griff zu kriegen. Die disziplinierende Wirkung der Hierarchie ist doch gerade diese: Jeder im Unternehmen weiß, dass das letzte Wort woanders gesprochen wird.

Ist damit die Selbstorganisation obsolet? Keineswegs. Sie hat unschätzbare Vorteile. Problematisch wird es erst, wenn man sie zum Prinzip macht. Selbstorganisation funktioniert nicht nach dem Motto „ganz-oder-gar-nicht". Jedenfalls nicht in großen Organisationen. Sondern als „mehr-oder-weniger" und „hier ja, dort nein". Diese Ambivalenzen auszuhalten wird eine der größten Herausforderungen der Zukunft. In unserem Entweder-oder-Land müssen wir dazu noch viel lernen.

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