­„Motivation wird massiv überschätzt"

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„Unternehmen haben weder Erziehungsauftrag noch Therapievertrag“, meint der Unternehmensberater Dr. Reinhard K. Sprenger. Schon vor 30 Jahren brandmarkte er in seinem Buch „Mythos Motivation“ die Art und Weise, wie Unternehmen Beschäftigte zu motivieren versuchen und dabei zu einem „Reiz-Reaktionsautomaten“ degradierten. Ein Gespräch über Sinn und Unsinn von Boni, Nudging und Yoga.

Herr Sprenger, kürzlich jährte sich das Erscheinen Ihres Managementbestseller „Mythos Motivation“ zum 30. Mal. Erklären Sie doch noch einmal: Warum ist Motivation aus Ihrer Sicht ein Mythos?

Mit dem Begriff Motivation verbindet man im Arbeitskontext etwas Positives, Wichtiges und Steigerbares. Und durch diese Steigerung soll mehr Leistung herauskommen. Da bin ich skeptisch. Denn für die Leistungsentfaltung sind der Zusammenklang von drei Leistungsdimensionen nötig: die Leistungsbereitschaft, die Leistungsfähigkeit und die Leistungsmöglichkeit. Dass Menschen die passenden Rahmenbedingungen und das Talent haben, ist viel wichtiger als die Leistungsbereitschaft, die eng mit dem Begriff Motivation verknüpft ist. Wenn ich dann noch sehe, wie kurzfristig manche Motivationsfeuerwerke angelegt sind, bezweifle ich stark, ob diese für die Zukunftsfähigkeit von Menschen und Organisationen überhaupt eine wirklich relevante Größe sind.

Das heißt, Sie halten das Thema Motivation für total überschätzt?

Ja – so massiv überschätzt, dass es geradezu ein Ablenkungsmanöver zu sein scheint, um wesentliche Dinge in Unternehmen nicht anzuschauen, beispielweise die strukturelle Kundenfeindschaft. Das Fatale ist: Man achtet nicht darauf, was die Motivation von Menschen teils sehr nachhaltig zerstört: unrealistische Rekrutierung, schlechtes Führungsverhalten, organisatorische Schieflagen. Viele Unternehmen blenden konkrete Schwierigkeiten, die mit einer Aufgabe verbunden sind, einfach aus. Das Image eines Unternehmens kann durch Werbung im öffentlichen Meinungsklima zwar attraktiv erscheinen. Doch diese Makroebene greift beim Thema Motivation zu kurz. Hier zählt die Mikroebene, also die Beziehungen am Arbeitsplatz. Zum Beispiel das Gefühl, gebraucht zu werden, dass es auf mich ankommt.

Sie halten die ganzen Mechanismen, die Unternehmen anwenden, um vermeintlich zu motivieren – sei es Lob, Benefits oder Boni – also für wirkungslos?

Ja, diese Instrumente demotivieren noch zusätzlich. Wenn die Rahmenbedingungen identisch bleiben, aber die Beschäftigten verändertes Verhalten und größere Motivation zeigen sollen, kann das sogar ein Zynismus-Generator sein.

Sie gehen davon aus, dass Menschen eigentlich intrinsisch motiviert sind. Woher kommt der Impuls, etwas tun zu wollen?

So generell kann das niemand beantworten. Im Regelfall ist die wesentliche Quelle für intrinsisch motiviertes Handeln irgendeine Sinn-Zuweisung – zum Beispiel die Familie zu ernähren oder auch eine Aufgabe zu erfüllen, die zum Gemeinwohl beiträgt. Wir sollten uns aber nicht verleiten lassen vom großen Wort „Purpose“. Man kann Sinn nicht als Angebot im Köcher haben. Man kann Sinn nicht administrativ erzeugen. Sinn ist eine individuelle Bedeutungszuweisung. Es heißt Sinn-Gebung, nicht Sinn-Nehmung. Wenn Individuen aber etwas Sinn geben, braucht man sich um Motivation nicht zu kümmern.

Kann man Ihrer Meinung nach Menschen trotzdem von außen bewegen, beispielsweise durch Vorbilder, Storytelling oder bestimmte Narrative?

Man kann Menschen schon bewegen. Die Frage ist aber, wie nachhaltig das ist. Strohfeuer und Hurra-Begeisterungsstürme sind schnell verraucht, denn man kann nicht jeden Tag mit der olympischen Fackel zum Job laufen. Was wir brauchen ist eine beständige, belastbare Motivation. Wer, wie gesagt, die eigene Arbeit als sinnvoll erlebt, nimmt in Kauf, dass manche Dinge im Job-Alltag – beispielsweise im Umgang mit Kollegen - vielleicht nicht ganz so ideal sind.  

In einer Sonderausgabe von „Mythos Motivation“ zum 30. Jubiläum haben Sie ein kurzes Kapitel zum Thema „Nudging“ hinzugefügt. Die Bratwurst fürs Impfen oder der Food-Truck vor dem Firmengebäude mit Snacks für diejenigen, die im Büro arbeiten – dahinter steht der Versuch, Menschen in eine gewünschte Richtung zu „stupsen“. Sie halten nicht viel von der Methode. Warum?

Wenn man möchte, dass Menschen tun, was man selbst für richtig hält, dann gibt es im Grunde drei Möglichkeiten: Man kann sie zwingen, man kann sie überzeugen, oder man kann sie anreizen. Verbote oder Zwang lehnen viele ab – und diese Mittel sind auch nicht angebracht, wenn wir Verantwortung erhalten wollen, die aus der Freiheit resultiert. Aber auch die Überzeugungsmethode ist schwierig, denn sie suggeriert ja, dass es Grund für Misstrauen gibt und man deshalb dafür werben muss. Dieses Problem haben auch Anreize. Unter den Anreizen kommt das Nudging jedoch so freundlich und positiv daher.

Nudging lässt Menschen aber doch die Freiheit, sich zu entscheiden. Man macht es ihnen nur einfacher, ein präferiertes Verhalten zu wählen.

Ja, aber das ist das gleiche Motto, nach dem viele Menschen ihre Kinder erziehen oder ihre Vierbeiner abrichten: Tue dies, dann bekommst Du das. Und das hat Spätfolgen, nämlich dass Menschen nicht mehr dies tun, weil sie dies tun wollen. Sondern dies tun, weil sie das dafür bekommen. Im Ergebnis ist das nichts anderes als eine strukturelle Sinn-Zerstörung. Man respektiert die persönliche Sinngebung dieser Menschen nicht, sondern versucht, ihren Sinn des Handelns zu unterlaufen, indem man einen Reiz setzt. Ich halte das für respektlos. Man hält die Menschen, die anderer Meinung sind, für halb-rational oder gar irrational – man blickt auf sie wie auf Kinder, die nicht wissen, was gut für sie ist. Wenn wir vom Thema Impfen sprechen, heißt das dann: Man bekommt eine Bratwurst als positiven Anreiz – das ist würdelos.

Mit Nudging degradiert man Menschen zu einem Reiz-Reaktionsautomaten. Menschen sind zwar frei, sich für etwas zu entscheiden, aber sie haben einen Nachteil, wenn sie es nicht tun. Darum spielen das viele mit. Ohne Cash läuft dann nichts mehr. Ein Elektroauto kaufen, weil ich es für sinnvoll halte? Nein, Hauptsache dabei springt eine Prämie heraus. So verbiegen wir das naturgegebene, sinnbezogene Verhalten. Wir tun nicht mehr, was wir richtig finden, sondern was belohnt wird.

Gibt es noch andere Beispiele?

Was systematische Sinn-Zerstörung anrichtet, haben wir schon in der Finanzkrise 2007 und 2008 gesehen: Mit der Verheißung der „Nation of Homeowners“ in den USA plante man ja Gutes. Dafür köderte die amerikanische Politik mit Boni erst die Notenbank und dann die Notenbank die Geschäftsbank und die Geschäftsbank ihre Kundenberater. Letztlich hat die Zeche der Steuerzahler bezahlt. Oder denken Sie an Kolumbien, wo Anfang der Nullerjahre Prämien auf die Köpfe von Guerilleros dazu führten, dass 6.500 kolumbianische Zivilisten getötet wurden, die sogenannten „Falsos Positivos“. Oder bei Amazon gehen Leute krank zur Arbeit, weil es einen Platin-Bonus gibt, wenn der Krankenstand unter vier Prozent liegt. Die Absichten sind immer gut, die Konsequenzen schlecht.

Aber was ist, wenn Menschen mit ihrem Verhalten andere gefährden oder das Gemeinwohl schädigen? Ist es dann nicht legitim, sie davon abbringen zu wollen?

Dann muss es aber wirklich klare Risiken geben, die alle Menschen bedrohen. In dem Fall muss man Daten zu Rate ziehen, wenn sie vorliegen. In einer Situation im März 2020 konnte man mit einigem Recht sagen, wir verfügen über keine Daten bezüglich der Pandemielage und müssen eben ohne Informationen einfach bestimmte Entscheidungen treffen. Das ist heute anders und deshalb wird es nun totalitär, wenn man weiterhin die Flammen an die Wand malt. Wenn man also nicht mehr Risiken kalkuliert, sondern von einer allgemeinen Gefahrenlage spricht oder von Null-Covid träumt. Man kann sich auch den Finger in der Nase brechen.

Es gibt aber doch durchaus sanfte Anreize, die keine negativen Konsequenzen haben, etwa wenn es um die Gesundheit von Beschäftigen geht. Würden Sie Unternehmen beispielsweise empfehlen, keine Yoga-Kurse mehr anzubieten?

Ja, das würde ich! Ich halte große Teile der gegenwärtigen Unternehmensführung für übergriffig und in ihrer Distanzlosigkeit auch für historisch vorbildlos. Hier wird eine totale Inklusion in die Organisation zelebriert. Stichwort: Business-Sekten. Die Grenze zwischen der Arbeit im Unternehmen und dem Individuum erodiert immer mehr. Die Zuständigkeit von Unternehmen für die persönliche Gesundheit finde ich geradezu pervers. Da kommen wir relativ schnell in den Bereich der Volksgesundheit hinein. Die hatten wir in der NS-Zeit und in der DDR. Für mich gilt: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.

Wie bewerten Sie es hingegen, wenn Unternehmen sich Klima- oder Gemeinwohlziele setzen, dies klar kommunizieren und von ihren Beschäftigten entsprechendes Verhalten einfordern?

Das ist legitim. Wir sollten wieder zu einem klaren Forderungs- und Führungsverhältnis kommen. Dies betrifft aber nur das Verhalten am Arbeitsplatz. Für mich als Liberaler ist die Schädigungsthese wichtig: Schlimmes verhindern ist wichtiger als Gutes tun. Deshalb können wir zum Beispiel auch keine Gesundheit anstreben, sondern nur das Vermeiden von Krankheit. Wenn ich aber weiß, dass nach meiner Bewertung etwas absolut zu vermeiden ist, dann verbiete ich das. Und jeder kann jetzt wählen, ob er diese Spielregel mitspielt.

Ihre gesamten Beobachtungen zum Thema Motivation klangen vor 30 Jahren schon ganz ähnlich. Hat sich seither nichts verändert?

Fast nichts. Was die Spät- und Nebenwirkungen „erfolgreicher Motivierung“ angeht, hat sich das Problem sogar noch verschärft. Nur einen wichtigen Unterschied mache ich dabei aus: Kaum noch ein Unternehmen erwartet von Boni und Incentives eine Leistungssteigerung. Die ganzen Bonussysteme haben sich einfach ritualisiert. Leistungsvariable Einkommensanteile verstetigen sich. Menschen erwarten, dass sie die Boni immer und immer wieder bekommen, auch wenn sich ihre Leistung nicht steigert. Deshalb bleibt es nach wie vor ein groteskes Schauspiel: Das Gehalt gibt es dafür, dass Beschäftigte morgens zur Arbeit kommen. Und wenn sie sich dort auch noch bewegen, ist das bonusrelevant.

Zumindest individuelle Boni, die aufgrund von Zielvereinbarungen berechnet werden, fahren Unternehmen in den letzten Jahren zurück – ein Trend der empirisch belegt ist…

Manche Unternehmen haben sich eben doch überzeugen lassen, dass individuelle Boni Unsinn sind. Ich habe Organisationen immer als Kooperationsarena modelliert, die um die zentrale Idee der Zusammenarbeit herum gebaut sind. Das hat zur Konsequenz, dass die individuelle Zurechenbarkeit von Leistung im Unternehmen weder möglich noch wünschenswert ist.

Aber im Vertrieb heißt es immer noch, da geht es einfach nicht ohne individuelle Boni. Warum hält sich hier der Mythos Motivation durch extrinsische Anreize so hartnäckig?

Das ist vor allem der Tradition geschuldet. Menschen, die im Vertrieb arbeiten, sind unter den Bedingungen eingestellt worden, dass es eine Provision als individuelle Leistungskomponente gibt. Unternehmen tun sich ausgesprochen schwer, diese Praxis zu ändern. Denn da kommt schnell die Verlustangst ins Spiel. Und wir wissen aus der Forschung, dass die Angst, etwas zu verlieren, größere ist als die Chance auf Gewinn. Außerdem glauben viele, dass im Vertrieb die Kooperation und die Zuarbeit von anderen am schwächsten ausgeprägt ist. Das war vor 30 Jahren auch schon so, und das bestreite ich immer noch. Ich komme aus dem medizinisch-technischen Außendienst und habe damals bereits darauf hingewiesen: Es ist doch eine Illusion zu glauben, dass Verkäufer als Einzelkämpfer Erfolge einfahren. An jedem Produkt, das verkauft wird, sind unendlich viele Leute im Unternehmen beteiligt, nur dass es für sie nicht bonusrelevant ist. Deshalb plädiere ich seither für eine allgemeine Beteiligung auf Basis von Unternehmensergebnissen.

Inzwischen zählen neben Umsatz und Gewinn zunehmend das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen – auch am Finanzmarkt. Dafür messen Unternehmen ihren CO2-Ausstoß oder ihren Impact im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele. Wie sinnvoll finden Sie das?

Wer viel misst, misst viel Mist. Die Messung von Leistung verschafft Unternehmen die Illusion von Objektivität. Aber nicht alles, was wichtig ist, kann man messen und nicht alles, was messbar ist, ist wichtig. Es gibt also einerseits viele Schein-Daten, die Unternehmen auf ihrer Schauseite herzeigen, um Marketing-Effekte zu erzeugen. Das ist in Ordnung, wenn damit auch tatsächlich positive Entwicklungen in die gezeigte Richtung möglich sind. Ob das immer der Fall ist, wage ich zu bezweifeln. Außerdem sollte man darauf achten, dass man sinnvolle Dinge nicht unterlässt, nur weil man sie nicht messen kann.

Was Zielvereinbarungen und Vergütung betrifft, raten Sie Unternehmen letztlich: Zahlen Sie Ihre Leute gut und fair – und dann tun Sie alles, damit sie das Geld vergessen. Wie meinen Sie das genau?

Meine Erfahrung ist grundsätzlich, dass fast alle Gespräche über Geld Stellvertreter-Gespräche sind. Diese sollen wesentliche Dinge verdecken – zum Beispiel, dass Menschen das Gehalt als Schmutzzulage erleben und deshalb mehr fordern. Einkommensbezogene Entscheidungen sollten aber keinen Einfluss auf sachbezogene Entscheidungen haben – also zum Beispiel auf die Frage, ob jemand die richtige Aufgabe macht, mit den richtigen Menschen und ob jemand die eigenen Talente einsetzen und sich dabei weiterentwickeln kann. Denn nur dann können alle Mitglieder einer Leistungsgemeinschaft das realisieren, was sie für sinnvoll halten. Wenn das nicht der Fall ist, fangen Menschen an, über Motivation zu reden und höhere Gehälter zu fordern. Es gibt natürlich Ausnahmen. Wenn Beschäftigte den Eindruck haben, dass sie weit unter ihrem Marktwert bezahlt werden, müssen Unternehmen sich bewegen, dann nützt ihnen auch die passende Aufgabe nichts.

Der Marktwert allein ist aber oft kein gutes Maß für die Wertigkeit von Tätigkeiten – zum Beispiel in der Pflege. Müsste man darüber nicht stärker diskutieren, anstatt das Geld zu vergessen?

Geld ist natürlich wichtig. In der Bezahlung artikuliert sich die Wertschätzung der Tauschpartner. Zudem hat Geld eine Hebelwirkung für die Lebensqualität der Menschen. Deshalb ist es schon eine entscheidende Frage, ob ich in meinem Job leicht oder schwer ersetzbar bin. Das wollen die meisten Menschen nicht hören, die fordern, dass eine Krankenschwester mehr Geld verdienen sollte. Wo doch ein Roger Federer nur Bälle über das Netz jagt. Aber ein Roger Federer steigert die Lebensqualität von Zigtausend Menschen und die Krankenschwestern eben nur von wenigen. Wer vielen Menschen dient, wird reich. Wer wenigen dient, bleibt arm. Aus diesem Mechanismus kommen wir nie raus.

Man muss ja Krankenschwestern nicht unbedingt mit Profisportlern und Promis vergleichen. In der Industrie gibt es Jobs mit ähnlich qualifizierter Ausbildung, die deutlich besser bezahlt werden und vermutlich weniger Menschen dienen…

Dennoch entscheiden sich Menschen für schlecht bezahlten Pflegejobs. Es scheint ihnen um den Sinn der Arbeit zu gehen. Offenbar spielt dann für sie das Geld eine vergleichsweise nachrangige Rolle.

Lassen sie uns noch über einen weiteren Trend in Sachen Motivation sprechen: Unternehmen nutzen inzwischen häufig sogenannte Spot-Boni. Vorgesetzte können einen überraschenden, individuellen Bonus an Mitarbeitende für besondere Leistung vergeben. Was halten Sie davon?

Das ändert nichts am Prinzip. Jede Prämie wird zur Rente. Menschen erwarten dann in einer vergleichbaren Situation erneut diese Form der Anerkennung. Bleibt sie aus, hat das einen negativen Effekt auf Motivation. Hinzu kommt: Man sendet auf symbolischer Kommunikationsebene die Botschaft, „Du, Mitarbeiter, arbeitest für mich, Chef“. Die Vorgesetzten dürfen also ein Zuckerchen vergeben. Wenn man jedoch Unternehmen als Kooperationsarena versteht, sollte man immer deutlich machen, dass wir Leistungspartner sind unabhängig von Hierarchie und Führungsverantwortung. Also eine Arbeitsgemeinschaft sind in wechselseitiger Abhängigkeit. Deshalb: Finger weg von Spot-Boni!

Sie sagen aber doch, dass es die Aufgabe von Führungskräften sei, Leistung zu bewerten. Widerspricht das nicht dem Grundsatz von Kooperation, wenn Führungskräfte die Bewertungshoheit haben?

Die traditionelle Zuordnung Vorgesetzte und Mitarbeiter beginnt zwar sich aufzulösen. Aber wenn wir mal von diesem klassischen Modell ausgehen, dann müssen die beiden Parteien abstecken, was sie unter Leistung oder Erfolg verstehen. Das ist nicht gesetzt, sondern beide Seiten haben ihren Anteil, das auszuhandeln. Ob Führungskräfte dabei die Interpretationsmonopolisten bleiben oder ob zunehmend Kollegen, Kunden oder Beschäftigte selbst auch eine Deutungshoheit haben, das wird sich zeigen. Vermutlich wird es Bereiche geben, wo das heroische Management nach wie vor dominiert, und andere, wo sich das verschleift.

Insgesamt scheinen Unternehmen in Bezug auf die Motivation der Beschäftigten in den vergangenen 30 Jahren kaum dazugelernt zu haben. Konnten Sie mit Ihren Ideen einfach keinen Impact erzeugen? Oder wie erklären Sie sich das?

Ich berate zwar viele Unternehmen, erziele aber beim Thema Motivierung und Vergütungssysteme vor allem in KMUs Wirkung. Insbesondere Familienunternehmen lesen gerne mein Buch „Das anständige Unternehmen“ und möchten sich in diese Richtung entwickeln. Großunternehmen hingegen sind Gefangene von dem ganzen Management-Firlefanz, der gerade in Mode ist. Wenn sie einen variablen Vergütungsbestandteil haben, geht es meist nur darum, damit die Entgeltsumme insgesamt atmen zu lassen. Was nicht blöd ist, wenn man sich von individuellen Leistungskomponenten verabschiedet und den variablen Anteil für alle je nach Gesamtergebnis gleichermaßen atmen lässt anstatt reflexhaft Leute zu entlassen. Aber abgesehen davon brechen Konzerne nur rhetorisch zu neuen Ufern auf. Das Problem ist doch: Gänse votieren nicht für Osterfeste. Es ist furchtbar schwer, jemand etwas verständlich zu machen, wenn sein Einkommen davon abhängt, es nicht zu verstehen. Deshalb hält man lieber die Steuerungs- und Kontrollillusion aufrecht.

Was motiviert Sie denn persönlich in Ihrem Job?

Ich habe mir die Frage nie gestellt. Die ehrlichste Antwort ist vielleicht die Gegenfrage: Was soll ich sonst tun? Ich stehe morgens auf, weil der Wecker klingelt. Ich frage nicht, ob ich ein gelungenes Leben lebe, ob ich glücklich bin. Sondern ich mache das einfach, weil ich mein Leben irgendwie strukturieren muss. Manchmal erlebe ich das als sinnvoll, manchmal nicht. Mein Job macht auch nicht immer nur Freude, es ist ein „mixed bag“. So führe ich Zeit meines Lebens eine denkende und schreibende Existenz. Und ich bleibe dabei, weil es mir damit nicht schlecht genug geht.

Das ist also Ihr Erfolgsgeheimnis, wie man 30 Jahre lang die Motivation hochhält, Unternehmen beim Thema Führung und Veränderung zu beraten?

Das ist zumindest ein wesentlicher Teil davon. Als ich damals als Unternehmensberater anfing, war es anders. Da war ich zornig angesichts des Menschenbildes, das sich in der Motivierung von Erwachsenen artikuliert. Menschen als Reiz-Reaktions-Automaten anzuschauen war für mich völlig inakzeptabel. Dieser Zorn ist nicht verraucht, aber ein bisschen altersdünner geworden. Aber es bleibt dabei: Wir haben im Unternehmen weder einen Erziehungsauftrag noch einen Therapievertrag.

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