Methusalem trifft Schnösel

Traditionell ist das Alte das Höherrangige; das Junge musste sich die Sporen erst noch verdienen. Bei schwierigen Bergtouren nimmt man selten Menschen unter 25 Jahren mit. Bei vielen autochthonen Völkern zählt sogar ausschließlich der Faktor Alter. Auch im Unternehmen ist der klassische Fall ein älterer Chef und ein jüngerer Mitarbeiter. Traditionell wird Wissen daher auch von Alt nach Jung weitergegeben. In digitalen Zeiten ist es oft umgekehrt: Wissen wird zunehmend von Jung nach Alt weitergegeben. Der Wein der digitalen Wahrheit wird nur selten aus Spätlesen gekeltert.

Diese Kehrung sollten Sie in ihrer evolutionären Wucht nicht unterschätzen – das ist anthropologisch nicht gut vorbereitet. Zudem werden Universitätsabsolventen heute früher fertig, strömen auf den Arbeitsmarkt und machen mit einer frühvergreisten Mischung aus Ausbildung und Ehrgeiz schnell Karriere. Schlecht für jene, die schon ein langes Berufsleben hinter sich haben. Die Digitalisierung verschärft diese Gemengelage. Je nach Sichtweise und Generationenbegriff arbeiten heute vier Generationen gleichzeitig im Unternehmen. Mit Konsequenzen: Die älteren Mitarbeiter bevorzugen eher Einzelbüros; die jüngeren sind weniger festgelegt. Die älteren bevorzugen geregelte Arbeitszeiten; die jüngeren entscheiden selbst, wann und wo sie arbeiten. Oft gibt es neue Berufe, von denen die älteren Mitarbeiter nicht mal den Titel verstehen. In manchen Branchen spricht man gar vom „Methusalem-Problem“, auf den Punkt gebracht vom Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar: „In Kinderzimmern findet sich mehr digitale Kompetenz als in den Chefetagen der Wirtschaft.“ Und auch die Anforderungen ändern sich: Digitale, agile und flexible Kooperation wurde den Älteren nicht in die Wiege gelegt. Manche fürchten sich vor dem Know-How der digital natives, sehen gar ihren Job bedroht. Hinzu kommen Mentalitätsunterschiede: Alter und Erfahrung legen das Schweigen nahe. Die Jüngeren, gewöhnt an Dialog und Diskussion, schon von Kindesbeinen an gut gepolstert und gelobt für ihre bare Anwesenheit, wollen weitergelobt werden und nennen es Feedback. Sie haben zudem Mühe, dass ältere Kollegen über eine Zukunft entscheiden, die diese gar nicht mehr erleben werden. Von den Jungen ist zu hören: „Wir werden von den etablierten Mitarbeitern geradezu gehasst.“ Umgekehrt tönt es: „Die jungen Schnösel schauen verächtlich auf uns herab.“ Ein ganzes Tableau von Konflikten.

Die Störung des Burgfriedens werden Sie im Einzelfall nicht verhindern. Aber Sie können dagegen arbeiten. Weil Sie beides brauchen: Alte plus Junge, tiefes Wissen plus neue Ideen, Erfahrung plus Neugier. Also: Adressieren Sie die Problemlagen initiativ und offen. Werben Sie für wechselseitiges Verständnis. Machen Sie klar, dass alle aufeinander angewiesen sind. Dass das Neue keine Chance hätte, wenn das Alte es nicht trägt. Dass das Alte keine Chance hätte, wenn das Neue es nicht in die Zukunft führt – eine Zukunft, von der wir nur wissen, dass sie nicht die Verstetigung der Gegenwart ist. Machen Sie auch klar, dass neue Themen nicht automatisch etwas für junge Mitarbeiter sind; auch die älteren Mitarbeiter müssen lernen. Ich weiß, durch den hohen Kündigungsschutz haben Sie für diese Mobilisierung schlechte Karten – vor allem bei jenen, die nur noch veränderungsavers im Abfluss kreiseln. Aber Sie können Institutionen schaffen, die das „Füreinander“ betonen – z.B. ein Entgeltsystem, das nicht den Egoismus stimuliert. Sondern das gemeinsame Interesse von Alt plus Jung.  

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