Martin Luther King hatte Recht

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Viele Unternehmen legen Wert auf Diversität – und riskieren damit zu verlieren, was sie so dringend brauchen: einen Gemeinschaftssinn.

 

Diversität – es gibt kaum ein Unternehmen, das sich nicht dazu verpflichtet hat. Manche aus Einsicht, manche beugen sich dem Gesetzeszwang, manche weichen dem Druck von Mitarbeitern und Öffentlichkeit, manche wappnen sich gegen juristische Klagen. Und für Planzielprofiteure ist es ein lukratives Geschäftsmodell. Aber es gibt Gegenbuchungen.

 

Die beginnen beim Wort. Unterstellt man eine breite Varianz der Mentalitäten, dann sind alle Unternehmen ab einer gewissen Größe divers – so divers, dass es manchem schon „zu bunt“ wird. Wählt man hingegen eine enge Bedeutung, dann gibt es in der Tat gruppenbezogene Ungleichgewichte. Aber welche sind gemeint? Nur die Unterscheidung Frau/Mann? Oder auch Herkünfte, Kulturen, Religionen? Auch Diversität der Sprachen? Oder gibt es nur noch die Hegemonialsprache Englisch?

Zweitens dementiert sich Diversität selbst: Unter dem Banner des Unterschieds wird die Vielfalt unterschiedlicher Individuen gelöscht und der Einfalt der Gruppenzugehörigkeit geopfert.

Drittens sabotiert sie die Logik: Bezogen auf Diversität soll man konform sein. Wo bleibt der Respekt vor dem Nicht-Mitmachen? „Im Gleichschritt, marsch!“ für Diversität?

Viertens steht sie im Widerspruch zu einem zentralen Wert der Aufklärung, einzelne Gruppen nicht gesetzlich sanktioniert zu bevorzugen.

Fünftens darf im wirtschaftlichen Kontext ausschließlich die individuelle Leistung gelten. Wer im Namen der Diversität begünstigt werden will, sollte daher ignoriert werden – im Namen der Gleichheit.

Sechstens ergibt sich vieles nicht mehr aus Tradition und Selbstverständlichkeit, sondern muss geregelt werden, wenn man nicht dauernd verhandeln will. Dadurch steigen die Transaktionskosten.

Siebtens und weitreichend: Es machen sich Mikroideologen breit, die die Mitarbeiter in Bevorzugungs- und ‧Benachteiligungsgruppen spalten. Diese achten peinlich darauf, ihre partikulare Eigenheiten und Rechte einzuklagen und zu verteidigen. Das führt nicht nur dazu, dass viele Unternehmensstrukturen endlos erweitert und differenziert werden, um zusätzlichen Sachverhalten gerecht zu werden. Der Fokus auf Gruppenidentität bedroht auch die Einheit des Unternehmens. Diese Einheit, auch „Garment“ genannt, ist der Stoff oder das Gewand, das zusammenhält. Das Stoffbild stammt von Martin Luther King. Immer wieder betonte er in seinen Reden, dass die Menschen durch ein Netzwerk individueller Gegenseitigkeit miteinander verbunden seien. Dieses Gewebe franst aus, wenn man Diversität betont. Wenn alles divers ist, gibt es keine Mitte mehr. Im Unternehmen steht dann nicht mehr das Verbindende im Mittelpunkt, sondern das Trennende. Dann leiden die Solidarenergien, auf die ein Unternehmen so dringend angewiesen ist.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur noch Bäume sehen – und keinen Wald mehr. Denn manche Bäume spielen Wald.

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