Joe Kaeser handelt selbstherrlich

Siemens-Chef Joe Kaeser gehört zu jener Gattung von Führungskräften, die nicht nur gute Produkte an Kunden verkaufen wollen, sondern auch Sinn an die eigenen Mitarbeiter. Genauer: „purpose“. Was das im Einzelnen ist, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Ebenso, wie man es 380000 Individuen verordnet und dabei gleichzeitig der „diversity“ huldigt. Zunehmend aber gefällt ihm auch das Spiel mit der Öffentlichkeit. Deshalb verschickt er Twitter-Nachrichten, in denen er sich zu politischen Themen äußert. Jüngst, indem er die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete lobte und die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel tadelte. Nun gilt sein Zorn Donald Trumps Tiraden gegen vier farbige Demokratinnen. Was wiederum ihm viel Lob eintrug, vom Bundesverband der deutschen Industrie ebenso wie von rund 1000 Meinungsbegeisterten, die „Gefällt-mir-Herzen“ schickten.

Man mag kritisieren, dass er, wie im Fall von Frau Rackete, eine tragische und ambivalente Situation unzulässig simplifizierte. Oder man mag Kaesers Meinung teilen – etwa bei Trumps Ausfälligkeiten. Eine ganz andere Frage ist, ob er seine Meinung äußern darf. Und äußern sollte.

Äußern darf? Der Siemens-Chef ist kein Unternehmer, der sein eigenes Geld riskiert. Er ist Angestellter und verwaltet Geld, das ihm nicht gehört. Insofern ist er abhängig von der Weisung des Aktionariats. Von diesem wurde er für eine politische Meinungsäußerung nicht autorisiert. Eine solche wäre auch unwahrscheinlich, gehört das Unternehmen doch mehrheitlich Ausländern, darunter wiederum etlichen, denen die politische Sichtweisen ihres Treuhänders wurscht sind. Aber Kaeser hat auch nicht gefragt. Sondern gehandelt. Und zwar selbstherrlich und übergriffig. Ein CEO hat die Interessen seiner Kapitalgeber zu erfüllen, keine Glaubensbekenntnisse abzulegen. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass er den Unternehmensinteressen geschadet hat, wenn er amerikanische Aufträge verlöre. Sein disclaimer, er würde seine private Meinung äußern, ist lächerlich. Wenn Herr Kaeser sich öffentlich äußert, dann spricht er immer in seiner Rolle und deutungshoheitlich als Siemens-Chef. Wäre ich Mitglied im Aufsichtsrat, würde mich sein Haftungsausschluss in seiner offenbar authentischen Naivität zutiefst irritieren.    

Äußern sollte? Die Tweeds tragen bei zu einer Entwicklung, die sich in den westlichen Gesellschaften wie ein Spaltpilz ausbreitet – Moralisierung. „Knie nieder und bekenne, dass du ein schlechter Mensch bist!“ Wer aus der Wirtschaft moralisierend auf das Politiksystem übergreift, muss sich nicht wundern, wenn umgekehrt die Politik auf das Wirtschaftssystem übergreift. Als es vor einigen Monaten darum ging, deutschen Zement für Trumps möglichen Mauerbau zu liefern, gab es etliche Stimmen, die das für moralisch untragbar hielten. Man muss sich das klarmachen: Es geht um das Vorhaben des demokratisch gewählten US-Präsidenten! Der muss einem nicht gefallen. Aber es ist doch ein geradezu skandalöser Kategorienfehler, sowohl wirtschaftliche Vernunft wie demokratische Verfahren mit der Inszenierung privater Rechtschaffenheit zu delegitimieren. Geht man den Denkweg konsequent weiter, dann landet man bei „Kauft nicht bei Juden!“

Seit Luhmann wissen wir, dass es immer dann krisenhaft wird, wenn ein gesellschaftliches Subsystem beginnt, andere Subsysteme zu korrumpieren. Interessanterweise sind unter den Apologeten der Kaeserschen Tweeds etliche, die das Wuchern des Wirtschaftlichen in andere gesellschaftliche Systeme hinein beklagen, nun aber, weil es grad in den Kram passt, genau das billigen. Dabei haben wir doch im Wirtschaftssystem eine unendlich wertvolle, weil weltanschaulich neutrale Begegnungszone: den Markt. Auf ihm handelt der einzige „Wert“, an dem sich ein Unternehmen in einer freiheitlichen Ordnung orientieren darf: der Kunde. Der Kunde mit seiner Entscheidung, für ein Produkt zu zahlen oder eben nicht zu zahlen. Und der damit das konfliktstiftende Bekennen durch das friedensstiftende Tauschen ersetzt.

Es ist möglich, dass Herr Kaeser das Schicksal von Migranten und farbigen Amerikanerinnen lediglich für einen populistischen Moralisierungsertrag nutzt. Dann liegt es abermals an den Kunden, ob sie auf den Triumpf der guten Gesinnung über die Gesetze des Verstandes hereinfallen.  

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