"Führungskräfte werden Widerspruchs-Akrobaten“

„Führungskräfte werden Widerspruchs-Akrobaten"

Der Management-Vordenker erklärt, warum der Trend zu New Work so häufig falsch verstanden wird – und gerade für Mittelständler Chancen bietet.

Glaubensbekenntnisse gehören in die Kirche. Davon ist Reinhard Sprenger mit Blick auf die wachsende Schar der New-WorkJünger überzeugt. Doch im Kern stimmt der Management-Autor ihnen zu: Ein Wandel der Unternehmern sei nötig, um auf Marktanforderungen zu reagieren.

Herr Sprenger, macht „New Work“ Führungskräfte überflüssig?
Tatsächlich geht es um sehr viel mehr als nur um neue Formen der Zusammenarbeit, die womöglich einige Führungskräfte den Job kosten könnten.

Um was denn genau?
Es geht um die grundlegende Erkenntnis, dass Unternehmen ihre Arbeitsorganisation und Führungsstruktur verändern müssen, weil die Marktdynamik sie dazu zwingt.

Weil sich Kundenwünsche ändern, neue Konkurrenz entsteht und Vertriebskanäle wegbrechen, sollen Unternehmen auch gleich noch ihre bewährte Hierarchie abschaffen? Droht dann nicht das Chaos?
Die Zeit der Eindeutigkeit und der klaren Ansagen geht dem Ende entgegen. Wer das versteht, ist offen für Lösungsideen außerhalb der Linienorganisation. Und erweitert so seinen Spielraum, um neue Antworten auf die von Ihnen genannten Herausforderungen zu finden. Vor allem aber reagiert er auf die explodierende asiatische Leistungsfähigkeit, die hierzulande immer noch nicht begriffen ist.

Ist das also das Ende der Hierarchie?
Nein. Hierarchie hat bei Entscheidungen immense Schnelligkeitsvorteile. Doch das allein wird nicht ausreichen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Künftig wird es in den meisten Unternehmen ein „Sowohl-als-auch“ geben anstatt nur eines „Entweder-oder“. Da sind uns die Asiaten weit voraus.

Also nicht alles top-down entscheiden, aber auch keine egalitäre Kuschelkultur um jeden Preis?
Unternehmen sollten sich nicht von Ideologien treiben lassen, sondern dort über Alternativen nachdenken, wo mit traditioneller Arbeits- und Führungsweise nicht genügend PS auf die Straße gebracht werden.

Klingt abstrakt. Können Sie mal ein Beispiel geben?
Es kann klug sein, die klassische Rolle der Führungskraft aufzugeben und stattdessen auf bereichsübergreifende, selbstorganisierende Teamstrukturen zu setzen, wenn sich Kundenwünsche in der hierarchisch organisierten Entwicklungsabteilung nicht schnell genug in neue Produkte umsetzen lassen. Dann existieren Hierarchie und Startup-Arbeitsweise nebeneinander.

So mancher wird das als Wildwuchs empfinden.
Die Herausforderung besteht darin, dass etablierte Unternehmen sich bei laufendem Betrieb verändern müssen. Es gibt dann keinen „Normal-Betrieb“ mehr. Es geht in Zukunft um ein ständiges Pendeln zwischen klassischer und agiler Arbeitsweise. Und es ist eine große Führungsaufgabe, zwischen den Traditionalisten im Unternehmen und den Innovatoren zu vermitteln und Gemeinsamkeit zu erzeugen. Weil wir beides brauchen.

Wie kann das gelingen?
Vielleicht mit Hilfe dieses Bildes: Wir haben ein Stand- und ein Spielbein. Das eine kann nicht ohne das andere.

Und was bedeutet das für die einzelne Führungskraft?
Im besten Sinne sind sie Widerspruchs-Akrobaten.

Klingt ein bisschen nach New-WorkLyrik. Was heißt das konkret?
Sie müssen erst mal selbst lernen, Mehrdeutigkeit auszuhalten. Sie müssen professionell damit umgehen, dass es auf manch neue Frage keine klare Antwort gibt, sondern ein Annähern an eine Lösung durch Versuch und Irrtum erfolgt. Und dass es dazu nötig sein kann, sich ständig neu zu organisieren, damit alle rasch aus gescheiterten Experimenten lernen.

Keine leichte Aufgabe ...
Ja, denn die meisten Manager sind in ihrem Berufsleben so nicht geprägt worden. Außerdem erleben sie um sich herum eine nie gekannte Komplexitäts- und Kommunikationsexplosion. Auch diese muss gesteuert werden, um gemeinsame Orientierungs-Landkarten aus diffusen Signalen zu erstellen. Sie sehen also, es ist nach wie vor jede
Menge Führungsarbeit zu leisten. Ich glaube daher, dass es nicht unbedingt weniger Führungskräfte geben wird. Auch wenn sie sich in flexiblen Strukturen vielleicht anders nennen werden.

Taugt New Work für den Familienbetrieb von der Schwäbischen Alb?
Unbedingt. Im Mittelstand sollte es sogar einfacher sein, Probleme experimentell zu lösen, als im börsennotierten Konzern, wo schon das Aktienrecht Grenzen setzt. Der Familienunternehmer kann sich dagegen flexibler aufstellen. Deutschland ist ja gerade dabei, in
den Paradedisziplinen Maschinen- und Automobilbau in die Zweite Liga abzusteigen. Insofern übertreibe ich nicht, wenn ich sage, dass wir mit dem Organisieren des Nicht-Organisierbaren über unseren zukünftigen Wohlstand entscheiden.


Herr Sprenger, vielen Dank
für das Interview.

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