Einfalt eines Merkmals statt Vielfalt der Person

Diversity kann nicht nur bereichern, sie kann auch gefährden. Es geht um den optimalen Grad an Vielfalt, der in Unternehmen von den Marktbedingungen her bestimmt werden muss.

Diversity – die gute Absicht ist mit Händen zu greifen. Wer würde gegen Vielfalt und Inklusion die Stimme erheben, ohne sich aus der Solidargemeinschaft der Zivilisierten zu verabschieden? Dennoch holen etliche Unternehmen, die sich öffentlich als Förderer der Diversität ausgeflaggt hatten, auf Druck des amerikanischen Präsidenten die Regenbogenfahnen wieder ein. Dies wiederum ruft Kritiker auf den Plan, die schon immer wussten, das Unternehmen opportunistisch heucheln. Aber was sollen sie denn sonst tun?

Unternehmen sind abhängig vom öffentlichen Meinungsklima und kalkulieren den Moralisierungsertrag. Genauso, wie es ihre Kritiker tun – auch sie fordern Diversität, umgeben sich jedoch meist mit Leuten, die ihre Meinung teilen, und verteilen Ohrfeigen, wenn jemand nicht im Gleichschritt der Diversität marschiert. Sie folgen dem Schicksal vieler fortschrittlicher und im Kern zustimmungsfähiger Ideen, die irgendwann ebenso autoritär werden wie die Institutionen, gegen die sie Widerstand leisten.

Werfen wir einen nüchternen Blick auf das Thema. Da ist zunächst die Unschärfe des Begriffs. Was ist mit Diversität gemeint? Geschlecht, Alter, Kultur, Religion, Ethnie, Behinderung – alles, was Menschen unterschiedlich macht? Oder auch Geburtsort, Intelligenz, Körpergrösse? Unterstellt man eine breite Varianz der Mentalitäten, dann sind alle Organisationen ab einer gewissen Grösse divers – so divers, dass es manchem schon «zu bunt» wird. Wer also Diversity nicht klar definiert, protestiert kindisch gegen jedwedes Schicksal, gegen jedweden Zufall und erhebt masslose Ansprüche.

Nicht zu übersehen ist zudem die logische Inkonsistenz: Bezogen auf Diversity soll man konform sein. Wo bleibt der Respekt vor dem Nichtmitmachen? Vor der Meinung Andersdenkender? Kurioser noch: Gerade Diversity eliminiert die Mannigfaltigkeit. Niemand ist mit einem einzigen Aspekt identisch, niemand geht vollständig auf in seinem Geschlecht oder seiner Ethnie. Diversity zerstört mithin die Vielfalt der Person und ersetzt sie durch die Einfalt eines Merkmals. Ein Dementi der Aufklärung und eine der unheilvollsten Gegenwartstendenzen: Menschen nur als Repräsentanten einer Gruppe wahrzunehmen.

Die logische Schieflage setzt sich am Arbeitsplatz fort. Es ist faszinierend, wie Unternehmen, die Diversität fordern, den «gemeinsamen Werten» das Wort reden, dem «einheitlichen» Führungsstil, der möglichst homogenen «Unternehmenskultur». Da soll es zukünftig «keine männlichen oder weiblichen Leader-Typen geben, sondern nur noch Leader-Typen» (Sheryl Sandberg).

Englisch wird als Universalsprache oktroyiert. Mit dem hegemonial verordneten Du wird dem Integralismus der Formlosigkeit gehuldigt. Und schon aus Effizienzgründen wird das Spektrum akzeptabler Verhaltensweisen von der Organisation eingeengt. Da gibt es Karrierepfade, Kompetenzmodelle, Bewertungssysteme, Potenzialanalysen, Zielvereinbarungen. Das alles kanalisiert und normiert. Zweifellos gibt es Ungleichgewichte in Organisationen, teilweise krasse: Nicht überall sind die Geschlechter, Ethnien und Minderheiten auch nur annähernd repräsentiert. Das mag man bedauern. Man mag das in staatlichen Verwaltungen auch zu nivellieren versuchen. Aber in privatwirtschaftlichen Unternehmen hat der Staat diesbezüglich nichts zu suchen. Dort muss sich Diversität betriebswirtschaftlich rechtfertigen.

Man zitiert daher gerne die Wissenschaft, die nachgewiesen habe, dass Vielfalt zu «besseren Entscheidungen» führe. Die entsprechenden Studien sind jedoch von geringer Anzahl und basieren auf schütteren Datenmengen, fragwürdigen Erhebungsmethoden sowie teilweise parteiischer Finanzierung. Eine seriöse Forschung lässt jedenfalls derzeit keine Schlüsse auf eine generelle ökonomische Vorteilhaftigkeit von Diversity zu.

Konkreter noch ist ein weiteres Kennzeichen unproduktiver Diversität. In gemischten Teams werden zwar auf der sogenannten Sachebene mehrere und unterschiedliche Aspekte diskutiert, dafür leidet die Beziehungsebene. Der Vertrauenspegel im Unternehmen sinkt, weil die Vertrautheit fehlt. Entsprechend wird man oft auch nicht schneller, sondern zunächst eher langsamer, weil die Abstimmungsprozesse länger dauern. Das ist folgenreich, da es faktisch keine Sachkonflikte gibt, nur Beziehungskonflikte – man kann, wenn man will, sich immer auf der Sachebene einigen. Wer sich aber nicht einigen will, weil sich Mikroideologien breitgemacht haben, die die Mitarbeiter in Bevorzugungs- und Benachteiligungsgruppen spalten, der wird jeden Sachgegenstand nutzen, um partikulare Eigenarten und Rechte einzuklagen.

Deshalb dauern nicht nur Meetings länger, sondern auch Unternehmensstrukturen werden endlos erweitert und differenziert, um zusätzlichen Sachverhalten gerecht zu werden. Im Unternehmen steht dann nicht mehr das Verbindende im Mittelpunkt, sondern das Trennende. Wenn alles divers ist, gibt es keine Mitte mehr. Was die Migrationsforschung weiss, gilt daher cum grano salis auch für Unternehmen: Die Zunahme kultureller Diversität verursacht einen Rückgang an Mitgefühl und reduziert die Bereitschaft zur Solidarität.

Vollständig ignoriert wird in der Diskussion der Nachteil hoher Transaktionskosten. Der Preis für kulturelle Vielfalt ist, dass sich vieles nicht «von selbst versteht» und man bei «gut integriert» allenfalls an Wein-Tannine denkt. Je grösser aber die Kulturunterschiede, desto lauter der Ruf nach Regeln. Was man dann wieder als Überregulierung beklagt. Ein Unternehmen (wie jede Organisation, auch ein freiheitlicher Staat) kann nur bestehen, wenn sich der gewährte Freiraum von innen her reguliert – aus der moralischen Substanz des Einzelnen und einem hohen Mass gesellschaftlicher Homogenität. Es wäre naiv, auf diesem Auge blind zu sein. Vielfalt ist mithin kein Wert an sich, sie ist weder gut noch schlecht, sie kann bereichern und gefährden. Es geht um die Mischung, um den optimalen Grad an Vielfalt. Und dieser Grad ist weder eine modische noch eine ideologische Grösse, sondern muss in den Unternehmen von den konkreten Marktbedingungen her bestimmt werden.

Dazu brauchen wir Grauzonenvirtuosen als Führungskräfte, Brückenbauer zwischen den diversen Einseitigkeiten. Wenn man das Unternehmen von aussen nach innen denkt – und nicht, wie leider immer noch üblich, von innen nach aussen –, dann entscheiden letztlich die Kunden die Mischung. Und die kann bei einer internationalen Kundschaft durchaus die Vielfalt priorisieren. In anderen Fällen die Homogenität. So wie jeder einigermassen Ernstzunehmende das Recht hat, diskriminiert zu werden.

 

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