Ein Meister ist, der übt.

Ein Meister ist, der übt.

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Lebenslanges Lernen, kurz LLL, ist einer jener Regenschirmbegriffe, unter denen sich Disparates versammelt – vom «Lernen lernen» bis zum grenzenlosen «Leben IST Lernen». Eingebaut ist ein unmissverständlicher Appell: «Macht endlich ernst damit!» Gerne garniert mit der Analogie vom Gegenstromschwimmer, der zurücktreibe, höre er auf zu schwimmen. Brachialer noch der Hinweis, wer meine, ohne LLL auskommen zu können, könne es ja mal mit Ignoranz versuchen. Wer will da Widerworte geben?  Da schlägt man doch lieber die Hacken zusammen.

Wir sollten nicht salutieren, sondern LLL als sozialdiagnostisches Brennglas nutzen. Zunächst das adverbial gebrauchte Adjektiv prüfen: Ist wirklich «lebenslang» im Wortsinn gemeint? Das erinnert doch eher an eine Haftstrafe. Ist es das vielleicht? Schulbank in Permanenz? Und gilt das auch noch für 80jährige? Gemeint ist wohl «berufslebenslang». Offenbar lehnt sich die Leiter des Aufstiegs vom Lehrling über den Gesellen zum Meister nirgendwo mehr an. Wo wären denn die Ruheplätze, auf denen ein «Ausgelernt!» zum Genießen es Erreichten berechtigt?

Der dunkle Hintergrund, vor dem das LLL die Lösung zu sein scheint: immer kürzere Halbwertzeit des relevanten Wissens, die Volatilität der Märkte, eine reduktionistisch als technische Entwicklung verstandene Digitalisierung. In den Unternehmen kommt hinzu das völlig neue und entsprechend herausfordernde Lernen der Alten von den Jungen – ein anthropologischer Skandal! Aktuelle Forschungen von Ökonomen zeigen zudem, dass einfache Routinejobs keineswegs durch Computer überflüssig werden - wenn die Mitarbeiter Gelegenheit haben, sich weiterzubilden. Aus all dem resultiere die Notwendigkeit des LLL, da sei eine Not zu wenden, die Not des Abgehängtwerdens, gar der Arbeitslosigkeit.

Das ist ernst zu nehmen. Allerdings scheint in dem Moment, wo ich dies schreibe, die Wahrscheinlichkeit struktureller Arbeitslosigkeit auf Jahrzehnte gebannt. Unsere Kinder werden keine Mühe haben, einen Job zu finden - zu sehr verschärft sich die Knappheit auf den Personalmärkten.

Der Hund liegt woanders begraben. Nämlich hier: Seit Jahren wird von «Lernen» gesprochen, aber «Anpassen» gemeint. Jemand definiert eine Soll-Idee, relational dazu jeder real existierende Mensch defizitär ist, was diesen Jemand legitimiert, das Defizit zu bewirtschaften. Gemeint ist also das lebenslange Anpassen an Bedingungen, die von anderen gesetzt sind. Das Missverständnis, das in den Abgrund dieser Logik führt, ist jedes Jahr milliardenschwer. Denn die motivationalen Quellen sind jeweils andere. Das Lernen folgt dem «Wollen», das Anpassen dem «Sollen». Und das «Sollen» hat noch nie richtig funktioniert. Natürlich passen sich die Sollenden an, sie wollen ja nicht verhauen werden. Aber das Besondere dieser Menschen findet dann woanders statt. Das muss sich ein Unternehmen leisten können.  

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