Die Kunst der schöpferischen Verhinderung

Kennen Sie Gottlieb Theodor Pilz? Wenn nicht, dann ist es Zeit, ihn kennen zu lernen. Sein Lebensweg in Stichworten: Geboren wurde er 1789 in Dinkelsbühl als Sohn wohlhabender Eltern. Früh kam er mit dem geistigen Leben seiner Zeit in Berührung. Zu erwähnen ist insbesondere seine Bekanntschaft mit Friedrich Gottlieb Klopstock. Während einer zweijährigen Italienreise lernte er in Rom Madame de Stael kennen. Ihrem Vorhaben zu einem Buch über Deutschland (De l'Allemagne) stand er ablehnend gegenüber, konnte jedoch – noch nicht im Vollbesitz seiner phänomenalen Fähigkeiten – dessen Erscheinen 1813 nur verzögern. Zurück in Deutschland hatte Pilz in den Jahren 1810/11 maßgeblichen Anteil daran, die fragwürdige Schriftstellerei Friedrich Ludwig Jahns zu beenden; dieser hat sich dann der Erfindung der Turnbewegung zuwandte. Ab 1814 erschien Pilz in Wien im Umfeld Beethovens und konnte dort die Veröffentlichung etlicher Werke unterbinden: Es gelang ihm, Beethoven von der mangelnden Qualität diverser Stücke zu überzeugten. Die Forschung geht heute davon aus, dass Pilz dadurch wesentlich zum Ruhm Beethovens beigetragen hat. 1821 trat Pilz in Berlin in Erscheinung und lernte E.T.A. Hoffman und Grabbe kennen. Auch sie konnte er überzeugen, dass geplante Veröffentlichungen nicht ganz auf der Höhe ihrer bisherigen Werke standen. In den Fällen, in denen ihm dies nicht gelang, griff er zum Mittel des von ihm erfundenen „fürsorglichen Diebstahls": Er entwendete die Manuskripte und vernichtete sie. Auch die Erkenntnis der musikalischen Begabung von Rossini wird allgemein ihm zugeschrieben, weil er ihm vom ursprünglich geplanten Lebensweg des Reichsverwesers abriet – er wusste schlicht nicht, was ein Reichsverweser tut. Pilz starb am 12. September 1856 am Herzinfarkt. Pilz' historische  Bedeutung liegt also im Wesentlichen darin, unermüdlich gegen den gestalterischen Übereifer seiner Zeit gekämpft zu haben.

Soweit die Lebensbeschreibung von Gottlieb Theodor Pilz. An ihr ist alles falsch. Pilz hat nie gelebt; er ist eine Erfindung des – leider fast vergessenen - Schriftstellers Wolfgang Hildesheimer. Alles falsch, bis auf den Hinweis, dass es oft besser ist, Dinge nicht zu tun. Schwenken wir auf die Arbeitswelt: Im Management kommt immer etwas hinzu. Niemand nimmt etwas weg. Das Management nimmt aber oft mehr weg, wenn es etwas hinzufügt, als wenn es etwas wegnimmt. Zum Beispiel: Kundenfokus. Wieviel Managementfirlefanz ist da in den letzten Jahren angeschwemmt worden, der nichts anderes erzeugt als Kundenablenkungsenergie! Wie wertvoll wäre da ein Pilz! Er würde allen Unternehmensautismus entsorgen. Er würde Projekte ohne direkten Kundenbezug stoppen. Er würde Meetings absagen, die sich nur mit internen Abläufen befassen. Unablässig fragen: Welche Institutionen und Strukturen können wir wegnehmen, ohne dass aus Sicht des Kunden etwas fehlt? Etwa Zielvereinbarungen – die institutionalisierte Kundenfeindlichkeit. Er würde alles unterlassen, was die Mitarbeiter nach „oben" oder „unten" blicken lässt, was interne Märkte eröffnet, was bürokratisch lähmt. Die Fenster weit öffnen und den Blick nach richten: Bezahlt uns der Kunde das? Alles, was keinen Wert für den Kunden schafft, kann weg. Was könnte uns ein Pilz heute alles ersparen!

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